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Die Zeit verging nur sehr zäh, bis es endlich 19 Uhr wurde und du zu mir kamst. Ich konnte sofort spüren, wie schwer und angespannt die Stimmung war und ich wusste deutlich: Es ist ernst. Ich kam nicht umhin zuerst zu fragen, ob jemand gestorben sei, schwanger sei oder schwer krank? Du verneintest. Das war natürlich gut, gleichzeitig musste es wohl etwas Ernstes für uns bedeuten und schien komplexer zu erfassen als die drei abgefragten Dinge.

Meine bereits seit gestern vor sich hin köchelnde Angst und Verunsicherung flammte auf.

Eine andere Stimme in mir flüsterte: "Aber es ist doch alles in Ordnung mit uns!".


Wir setzten uns aufs Bett und ich habe dir erstmal einfach sehr lange zugehört. Jedes deiner Worte spiegelte deine eigene Zerissenheit und Niedergeschlagenheit wieder. Du hast mir erklärt, dass du deine Kapazitäten (emotional, zeitlich, gedanklich) gerade vor allem für deine andere Beziehung brauchst und für dich selbst. Dass du das Gefühl hast, weder dir, noch mir, noch deiner anderen Beziehung aktuell gerecht werden zu können und du in dieser Krise, die deine andere Partnerin und du aktuell miteinander durchmacht.

Dass du zu 100% für deine andere Partnerin da sein möchtest. Mich dabei aber auch nicht auf Warmhaltestufe mitschleppen möchtest. Das sei unfair mir gegenüber.

Ich konnte dir gut folgen und mitfühlen, wie es dir geht.

Du hast deine Ausführungen abgeschlossen ohne es auszusprechen, aber es war so unfassbar laut zwischen den Zeilen zu lesen und deshalb habe ich es ausgesprochen: "Hast du eine Entscheidung getroffen, unsere Beziehung zu beenden?" Es fiel dir verdammt schwer darauf zu antworten, aber du hast es bejaht.


Das kam so überraschend und unvorhergesehen, dass in mir eine ganze Welt zerbrach. Ich hörte die laute und verurteilende Stimme in mir "Warum hast du auch vertraut, du dummes Mädchen, wer vertraut, der wird verarscht, am Ende bist du immer alleine, das weißt du doch!". Doch ich brachte diese alte Stimme zum schweigen. Das hier war anders. Das wusste ich genau. Und dass ich dir so sehr vertraue und wir so eine Tiefe miteinander teilen, dass ist besonders und das lasse ich mir nicht von den Geistern der Vergangenheit zerreden. Ich sagte dir, dass ich nicht einfach aus deinem Leben herausgerissen werden will, wie eine Seite aus einem Buch, wenn du doch gar nicht grundsätzlich entscheidest, dass an unserer Beziehung etwas falsch ist, oder du jetzt monogam leben möchtest. Dass ich verletzt davon bin, dass du für mich entscheidest, dass es der bessere Weg sein soll, mich einfach abzuschneiden. Und dass ich mir wünschen würde, die Möglichkeit zu haben, mitzusprechen und mitzugestalten. Statt, dass du völlig unvorhergesehen (für mich) mit einer fertigen Entscheidung zu mir kommst, was für mich oder uns das Beste sei.

Dass es ja zum Beispiel sein könnte, dass ich Verständnis habe, dass wir uns eine (ganze) Weile nicht sehen könnten und den Raum, den du und deine Partnerin gerade exklusiv brauchen, vielleicht mit weichem Herzen gerne zur Verfügung stellen kann und will. Du warst erstaunt über so eine Option in der Art einer Pause. Ich stimme dir zu, Pausen die man in dysfunktionalen Beziehungen macht, sind meistens nur der Einstieg in eine Trennung. Sozusagen das langsame Herantasten ans Getrennt sein, für Menschen, die sich nicht trauen Entscheidungen zu treffen, oder sich alle Optionen offen halten wollen. Beziehungs-Pausen fühlen sich immer faul an. Aber in unserem Fall ist das ja nicht so! Denn du versicherst mir, dass deine Entscheidung nicht 1% mit uns zu tun hat. In unserer Beziehung ist gerade nichts falsch, nichts zu viel, nichts schlecht. Genau! Es ist ziemlich wunderschön mit dir. Wenn du das mit mir also gar nicht beenden möchtest, weil es dir nicht mehr gefällt, oder du dich darin nicht siehst, sondern ausschließlich, weil du mich nicht hinhalten willst und nicht weißt, wie lange du nun von der Bildfläche verschwinden würdest um dich auf deine andere Partnerin zu fokussieren, dann lass mich dir bitte sagen: "Ich bin im Reinen! Ich bin stabil! Ich kann für mich entscheiden, ob ich mit einer Pause einverstanden bin. Ohne zu wissen wann sie endet. Ich entscheide für mich, ob ich mich dann - so lange wie es eben dauert - an der Distanz zerreibe und von Sehnsucht zerfressen lasse, oder ob ich mit Ausgeglichenheit und innerem Frieden abwarten kann, was sich entwickelt. Ohne frustriert mein Handy anzustarren, wann du dich vielleicht meldest und die Tage im Kalender abzustreichen."

Ich erkläre dir, dass ich nachvollziehen kann, dass du deine Kapazitäten gerade zusammenhältst und das ich mit meinem Partner Koala potentiell auch in eine Situation geraten könnte, in der mich seine pschische Verfassung so mitnimmt, dass ich mich darauf konzentrieren will, für ihn dazusein, dass ich vielleicht mal keine Kapazitäten für eine andere Beziehung hätte. Deine Verantwortung ist nur, dass du aufrichtig und transparent mit mir kommunizierst, wie es um deine Kapazitäten bestellt ist und ob eine Distanzierung von mir mit uns zu tun hat. Meine Verantwortung ist dann, mir zu überlegen wie ich damit umgehen kann und möchte.


Für mich zu entscheiden, dass eine finale Trennung das Beste sei, ist unfair. Über mich hinweg entschieden und einem mongamen Beziehungslearning entstammend. Als könnte es nur entweder, oder geben. In deinem aktuellen Kopfsalat fühlst du dich so überfordert, dass du denkst es sei ganz sicher das einfachste eine Beziehung einfach wegzustreichen. Klar - das ist Komplexitätsreduktion. Und du hast ja auch noch keine praktischen Erfahrungen dazu, dass das wirklich funktionieren kann, mehrere Beziehungen synchron zu haben und dass die Beziehungen für ihre Bedürfnisse und Grenzen selbst Verantwortung übernehmen. Ich erzähle dir, dass ich eine Fantasie habe, dass wir in irgendeiner Zukunft, vielleicht auch zu Dritt füreinander Sorge tragen könnten. Dass es doch ein riesiger Gewinn sei, ein Polykül zu haben, dass einen stützt und wo diejenigen die gerade viel Kapazität haben, Raum halten können, für die mit wenig Kapazität. Wo die, die stabil mit sich sind, den anderen etwas Stabilität schenken können. In einer Zukunft, werden wir uns alle kennenlernen und vielleicht können wir zulassen, dass wir alle etwas mitbringen in ein gemeinsames Netz, dass uns tragen kann.


Du entschuldigst dich bei mir, dass du entschieden hast, ein Ende sei das Beste und sagst du hättest mich diesbezüglich unterschätzt und gar nicht in Betracht gezogen, dass Raum offen halten eine Option darstellt. Ich sag dir, dass mir wichtig ist, dass du nicht das Gefühl bekommst ich würde dich überreden unsere Beziehung doch zu halten und auf Standby zu setzen. Dass ich mich nicht anbiedern will und wenn du dir wirklich sicher bist, dass eine Trennung das ist was du möchtest, dann würde ich das natürlich akzeptieren.

Aber wir sind uns einig: Wir wollen keine Trennung. Jetzt wird dir und deiner anderen Partnerin so viel Raum gelassen wie ihr braucht. Ich möchte wirklich von ganzem Herzen, dass es euch beiden gut geht. Jedem für sich und miteinander. Und irgendwann - so lange es auch dauert - werden sich die Umlaufbahnen unserer Planeten wieder kreuzen. Ob wir dann noch in der gleichen Galaxie kreisen, stellen wir dann fest.


Hand in Hand, schweigen wir, sehen uns an. Die Frage, ob wir nochmal Sex haben wollen steht im Raum. Ich weiß urtief: JA! Nicht als Abschieds-Fick, sondern als die uns würdigste und am meisten entsprechende Versicherung von "Bis bald". In Zehntelsekunden, verändert sich unser Mood, es gibt keine Barrieren, keine emotionale Hemmung. Wir tun das, was wir am besten können: Roh sein. Triebhaft sein. Und es tut verdammt gut. Du schreibst mir auf die Innenseite meiner Haut: "Alles ist gut, und alles wird seine Zeit finden." Dann ziehst du dich an, unsere Verabschiedungszeremonie ist immer gleich, du stehst am Steg, ich in der Luke vom Boot und du beugst dich für einen letzten Kuss hinunter bevor ich dir nachsehe, wie du den Steg der Marina verlässt.


Aphelion refers to the point farthest from the sun in the orbit of a planet
Aphelion refers to the point farthest from the sun in the orbit of a planet

 
 
 

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In a time of cold capitalist intimacies,

Love is an act of rebellion.

I believe in Love.

In honest communication.

In unterstanding. 

I believe there is enough space for all of us out there. 

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