Diffus(ion)
10 Tage sind überhaupt nicht lang. Und wir haben uns oft 10 Tage nicht gesehen. Aber 10 Tage aus denen 10 Monate werden könnten sind irgendwie anders. Ich bin nach wie vor ohne Trauer und ohne Schmerz und ich sitze hier auch nicht und zähle die Stunden, auch wenn der erste Satz dies vermuten lassen könnte.
Ich habe mich bewusst dazu entschieden, deine Lücke nicht mit Krawall und Remidemmi zu füllen. Das wäre das einfachste und von mir am besten beherrschteste Verhaltensmuster. Einfach alle Apps anschmeißen, die Liste der verflossenen Kontakte durchgehen und mich sehr doll ablenken. Eine einfache Tafel Schokolade schmeckt aber nicht mehr so gut, wenn man nun Monatelang Pralinen gewöhnt war.
Aber C. hat heute ein Date und es war gar nicht so leicht für mich, daran mitfreudig oder neutral Anteil zu nehmen. Rational weiß ich zwar, dass es schön ist, dass er dieses Date hat und dass es gut ist, und auch völlig okay, dass er datet, während ich noch nicht genau weiß, was ich mit mir anfangen will. Emotional hatte ich einen kurzen Ausbruch von "kannst du mich nicht einfach in den Arm nehmen, für immer nur bei mir sein, mich meinetwegen sogar heiraten und mit mir hier auf der Couch sitzen und kuscheln?". Das ist ganz sicher nicht meine Vorstellung von Liebe, Leben oder Beziehung, es ist ein ängstlicher Reflex sich in einer Höhle der Scheinsicherheit und des emotionalen Komfort einnisten zu wollen. Aber ob es nicht vielleicht doch das leichteste wäre sich abzulenken?
Als ich gestern Abend die Großstadt-Luft einer Samstag Nacht schnupperte wurde mir das sehr bewusst, dass ich ziemlich gute Pralinen genossen habe in letzter Zeit.
Die Straßenbahnen waren voll mit Karnevalisten, mit jungen Menschen die nach Haarsytling Produkten, günstigen Parfüms und Energy Drinks rochen. Es lag etwas aufgekratztes in der Luft und diese unbeschwerte Lust nach Abenteuer. Ich mochte mich als teilnehmenden Beobachter und ich mochte es, diese unüberlegte Lust zu sehen, dieses hineinschmeißen ins Leben zu spüren. Schlenderte noch ein wenig durch die Straßen auf dem Weg zum Boot und hatte mir offen gehalten noch auszugehen. Es gab 3 Optionen, von gemütlicher Punkrock-Bar, über fancy Cocktails bis hin zur Swinger-Party auf der ich meine emanzipierte sexuelle Autonomie als Solo-Besucherin hätte feiern können.
Ich tat nichts davon, weil ich mich für "Gefühle fühlen und mir selbst zutrauen, dass ich das (aushalten) kann" entschieden habe. Für JOMO statt FOMO. Also habe ich mich auf dem Boot eingemuckelt. Ich kann nicht leugnen, dass mir der Gedanke gefiel, das Licht einzuschalten, die Vorhänge offen zu lassen und zu glauben, dass G. über die Severinsbrücke fährt und sieht, wie bei mir das Licht brennt. Ich kann auch nicht leugnen, dass ich nach wie vor keinen Stress damit hätte, wenn du mich nur für eine Stippvisite besuchen würdest und dass ich mich daran erinnerte wie das 2 Mal passierte. Gefühle fühlen. Erinnern zulassen.
Ich legte eine Platte auf. Genoss den knisternden Sound. Tanzte. Überall Kerzen. Drehte mir einen Joint und genoss ihn in der Melange aus knarzenden Seilen, schaukeln und Kerzenflackern.
Ja, da ist Sehnsucht.
Ich kann jede Nacht spüren, die wir hier miteinander verbracht haben. Spüre dich hier ganz doll anwesend. Hab dein Gesicht vor Augen und deine Hände auf meinem Körper. Wünschte, es würde hier noch nach dir riechen. Überhaupt...dein Geruch, der fehlt mir.
Und ja - es ist schwer nicht zu wissen, wann wir das nochmal teilen.
Ich bin nicht lost. Es ist okay Sehnsucht zu spüren. Ich bin deshalb keine verlorene Verliebte. Ich bin nicht trauernd. Eher sehr klar. Lenke mich nicht mit Bullshit-Ficks ab, weil meine Toys zuverlässiger sind.
Hab gleichzeitig perfide Fantasien, von jedem Fick ein Videotagebuch zu starten, damit wir zu unserem Wiedersehen eine amtliche Amateur-Porno Sammlung haben. Ich wüsste, du wärst stolz auf mich.
Schokolade schmeckt mir gerade nicht.
Bin genervt von jedem Anschreiben, dass ich bekomme, habe keine Lust auf das ChitChat wer man ist und was man kann und was man voneinander will und habe derbe doll keine Lust auf das Bullshit-Bingo der emotionalen Nicht-Verfügbarkeit, unreflektierten Männlichkeit, Verwirrung darüber, dass BDSM nichts mit hartem Geficke zu tun hat und der Verunsicherung der Männer, wenn Frauen emanzipierte Meinungen haben und nicht unterhalb ihrer Standards daten.
Vielleicht stelle ich ein Date ein "Praline gesucht" und liste dann als Inhaltsstoffe der Praline all diese Minimum-Eigenschaften auf, das würde mich immerhin amüsieren.
Habe wilde Träume, in denen du mich auf dem Boot überfällst, von outdoor am Rheinstrand schlafen und Sonnencreme-Haut in goldenem Abendlicht und wie wir im nächsten Schnittbild zu 4. (ich weiß nicht wer die 4.Person ist, aber eine ist K.) zusammen im Bett liegen und kuschelnd einen Film sehen.
Teilchen in einer Lösung bewegen sich, bis ein Konzentrationsausgleich stattgefunden hat.
Was sich aktuell noch diffus anfühlt, wird sicher bald zu Diffusion.
Der Ausgleich von Konzentrationsunterschieden führt mit der Zeit zur vollständigen Durchmischung zweier oder mehrerer Stoffe durch die gleichmäßige Verteilung der beweglichen Teilchen und erhöht damit die Entropie des Systems.
Ein Makrozustand eines solchen Systems, kann durch eine hohe Anzahl verschiedener Mikrozustände realisiert sein, die durch innere Prozesse ständig ineinander übergehen, ohne dass sich die makroskopischen Werte dabei ändern.
Die Entropie ist ein logarithmisches Maß für die Anzahl der verschiedenen Mikrozustände, die das System in dem gegebenen Makrozustand haben könnte.
Das Anwachsen der Entropie in einem System, das von einem beliebigen Anfangszustand aus sich selbst überlassen bleibt und sich folglich dem Gleichgewichtszustand nähert, erklärt sich dadurch, dass der Makrozustand des Systems mittels dieser inneren Prozesse sich mit größter Wahrscheinlichkeit demjenigen Makrozustand annähert, der bei gleicher Energie durch die größte Anzahl verschiedener Mikrozustände zu realisieren ist. Dieser Makrozustand besitzt also die größtmögliche Wahrscheinlichkeit die höchstmögliche Entropie und stellt den – bis auf mikroskopische Fluktuation – stabilen (makroskopischen) Gleichgewichtszustand des Systems dar. Während dieser spontan ablaufenden Annäherung an den Gleichgewichtszustand, die als Relaxation bezeichnet wird, wächst die Entropie an; sie wird dabei neu erzeugt.
Hoffnung und (schöne) Melancholie.
Das sind meine zwei Konzentrate. Immer schon.Sie werden bald wieder in ein Gleichgewicht übergehen.
Es ist Sonntag Morgen. Trinke Kaffee auf meiner neuen Bank an Deck.

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